Selbsthilferecht bei überhängenden Ästen

Selbsthilferecht bei überhängenden Ästen: BGH klärt Nachbarstreit

Das Problem:

Auf das Grundstück des Nachbarn steht unmittelbar an der gemeinsamen Grenze seit mehreren Jahrzehnten eine inzwischen etwa 15 m hohe Kiefer. Die Äste dieser Kiefer, von denen auch Nadeln und Zapfen herabfallen, ragen seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des anderen Nachbarn (Beklagter dieses Rechtsstreits) herüber.

Nachdem dieser den Kläger erfolglos binnen Fristsetzung aufgefordert hatte, die überhängenden Äste der Kiefer abzuschneiden, schnitt der Beklagte die überhängenden Äste dann selbst ab.

Der Kläger verlangte mit seiner Klage gegen seinen Beklagten Nachbarn es zu unterlassen, Äste seiner Kiefer abzuschneiden, da angeblich die Standsicherheit gefährdet sei.

Das Selbsthilferecht:

Nach § 910 BGB gibt es die gesetzliche Regelung, dass der Eigentümer eines Grundstücks Wurzeln oder herüberhängende Zweige eines Baumes oder Strauchs nach angemessener Fristsetzung selbst abschneiden und behalten kann. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Wurzeln oder Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen.

Die Entscheidung des BGH:

Der Kläger hatte zwar gegen den Beklagten in den Vorinstanzen gewonnen, der Bundesgerichtshof hat aber das Berufungsurteil aufgehoben und an die Vorinstanz zur noch erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Der Bundesgerichtshof vertritt als höchstes deutsches Gericht die Rechtsauffassung, dass das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB nach der Vorstellung des Gesetzgebers einfach und allgemein verständlich ausgestaltet sein soll und keiner Verhältnismäßigkeits-oder Zumutbarkeitsprüfung unterliege.
Die Verantwortung dafür, dass Äste und Zweige nicht in das Grundstück des Nachbarn hineinwachsen, liege ausschließlich beim Eigentümer des Grundstücks, auf welchem der Baum steht. Der regelmäßige Rückschnitt zur Vermeidung eines Überhangs gehöre zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Grundstücks des Grundstückseigentümers, auf dessen Grundstück der Baum steht. Wenn dieser Grundstückseigentümer - also hier der Kläger – dieser Verpflichtung nicht nachkommt und es zu einem Wuchs der Äste über die Grundstücksgrenze in das Grundstück des Nachbarn komme, könne er nicht von seinem Nachbarn verlangen, diesen Übergang mit der Begründung hinzunehmen , dass es ansonsten zu einem Absterben des Baumes kommen werde.

Der beeinträchtigte Beklagte Nachbar ist nicht verpflichtet, das Abschneiden der Äste zu unterlassen und die Beeinträchtigung seines Grundstücks hinzunehmen.

Fazit:

Das Selbsthilferecht aus § 910 BGB darf also auch dann ausgeübt werden, wenn durch das Abschneiden überhängende Äste das Absterben des Baumes oder der Verlust seiner Standfestigkeit zur Folge hätte, so der Bundesgerichtshof.

Das Selbsthilferecht kann allerdings durch Baumschutzsatzungen oder-Verordnungen eingeschränkt sein. Um diese Frage zu klären, erfolgte die Rückverweisung an die Vorinstanz.

BGH, Urteil vom 11. Juni 2021, Z. V ZR 234/19
Quelle: BGH, Pressemitteilung